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Ute Erdsiek-Rave
Ministerin für Bildung, Wissenschaft,
Forschung und Kultur, Schleswig-Holstein
Rede anlässlich der Eröffnung
der Ausstellung „Gartendenkmalpflege
in Schleswig-Holstein" am 11. Juli 2003,
Schloss Eutin
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Damen und Herren,
wie definiert man eigentlich „Denkmal“? Landläufig verbindet man mit dem Begriff die verschiedenartigsten Bauwerke, die an etwas oder jemanden erinnern:
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an die Zeit, in der man Kirchen im Stil norddeutscher Backsteingotik oder Herrenhäuser in neoklassizistischer Manier gebaut hat, an Bauernhäuser in Fachwerktechnik usw.;
- an historische Ereignisse und Verabredungen - an Siege, Niederlagen, an Gefallene oder an die Einheit Schleswig-Holsteins zum Beispiel;
- andere erinnern an berühmte Persönlichkeiten: an den Musiker Johannes Brahms oder an den Dichter Johann Heinrich Voss, an Politiker und Feldherren, an Götter aus der griechischen und römischen Mythologie oder - als Grabdenkmäler - an verstorbene Angehörige.
Alle diese Denkmäler sind Teil unserer Kultur, sie sind sichtbare Zeugnisse der Vergangenheit. Deshalb schützen wir sie, um sie für die Gegenwart und für die Zukunft zu erhalten. Dieses Bewahren beschränkt sich jedoch nicht nur auf statische Kulturleistungen aus Stein oder Bronze, Holz oder Stahl. In den letzten Jahrzehnten haben wir einen umfassenderen Denkmalschutzbegriff entwickelt, der ganze Ensembles, Kunst-Produkte, Handwerks- und Industrieleistungen mit einschließt, der sich vor allem auch dem Landschaftsschutz und dem Gartenschutz verschreibt. 1996 haben wir das Denkmalschutzgesetz ausdrücklich um den Erhalt der Gärten, Parks und historischen Kulturlandschaften ergänzt.
Das ist nicht einfach nur als Erweiterung der Zuständigkeit zu verstehen, das verlangt auch besondere Kompetenzen und spezielle Verfahren. Eine historische Mühle, eine Stadtvilla, ein Marineehrenmal oder ein Ringwall haben eine bestimmte Gestalt, die es zu sichern gilt. Naturdenkmale - Parkanlagen, Gärten und Alleen - haben ihre eigenen Gesetze: Sie sind nicht statisch, sie verändern sich, wachsen und wuchern, blühen und verblühen, andere sterben ab, sie sind sehr stark abhängig von Witterungs- und Umweltbedingungen. Deshalb war es konsequent, dass das Landesamt für Denkmalpflege vor zehn Jahren nicht bloß die Zuständigkeit erweitert hat, sondern zugleich ein eigenes Dezernat „Gartendenkmalpflege“ gegründet hat.
Schleswig-Holstein, das Land der Horizonte, von Wind und Meer, von Herrenhäusern und Gärten, ist ja auch ein Land der Gartenkunst. Dass uns das heute wieder bewusst ist, dass vor unserem Auge eine Reihe von gut erhaltenen historischen Gartenbeispielen „erscheint“, das ist auch die Frucht der Arbeit dieses Dezernats. Im vergangenen Jahrzehnt sind fast 70 historische Gärten und Parks unter Denkmalschutz gestellt worden (manche davon buchstäblich in letzter Sekunde); zugleich sind umfassende Gartensanierungs- und Entwicklungsprojekte durchgeführt worden. Diese Ausstellung dokumentiert 28 kulturgeschichtlich besonders bedeutende Gärten aus Schleswig-Holstein. Der Eutiner Schlosspark steht hier im Mittelpunkt. Die Wanderausstellung wird in Zukunft jedoch jeweils die regionalen Besonderheiten vor Ort ins Zentrum rücken, um eine Arbeitsbilanz vorzulegen und zugleich wertvolle Impulse zu geben.
Gartenkunst in Schleswig-Holstein steht - das verdeutlicht auch diese Zusammenstellung - für unterschiedliche Moden und Geschmackstrends. Aber sie steht zugleich auch für unterschiedliche politische Strukturen und für unterschiedliche Menschenbilder bzw. Wertvorstellungen. Unsere „hortikulturelle“ Zeitrechung beginnt nicht mit den hängenden Gärten der Königin Semiramis, auch Klingsors Zaubergärten sind nicht zwischen Nord- und Ostsee zu verorten. Was wir an Gartenkultur dokumentieren können, das beginnt in etwa im späten 16. Jahrhundert. Neben den Boskettgärten der Kloster-, Residenz- und Herrenhausanlagen stehen die großen aristokratischen Parkanlagen (wie der Fürstengarten zu Gottorf, der nun wieder rekonstruiert wird). Schließlich sind die Gärten der Herrenhäuser bzw. Gutshöfe der bürgerlichen Zeit zu nennen. Sie waren immer nur wenigen Auserwählten vorbehalten. Sie waren ein Zeichen von Macht und Reichtum, von Überfluss. Man musste Land besitzen. Man konnte es sich leisten, Grund und Boden nicht landwirtschaftlich zu nutzen. Man konnte sich teure exotische Pflanzen kaufen und im Norden in speziellen Orangeriegebäuden überwintern lassen. Man hatte die Zeit und die Arbeitskräfte, um einen Park anlegen und pflegen zu lassen. Diese höfisch-repräsentativen Gärten zeichnen sich in der Regel dadurch aus, dass sie die Natur mathematisch-geometrisch „zähmen und bearbeiten“, dass das Formale, Geordnete im Mittelpunkt steht. Vor dem neuen Naturbegriff der Aufklärung hatte dieser Gartenstil keinen Bestand. Der englische Garten unterwirft sich die Natur nicht mit der Heckenschere. Er richtet den Garten nicht mehr am Schloss aus, ihm kommt es auf die Besonderheit der Landschaft an. Nun steht auch nicht mehr der Gartenbesitzer im Blickfeld, sondern der Mensch, der dieses Naturkunstwerk in sich aufnimmt. Der Garten, der Park ist kein Ort der Repräsentation oder des Reichtums und der künstlich hergestellten, wohlgeordneten Schönheit. Er dient vielmehr der Erholung, der Bildung, der Erweiterung des eigenen Seins - an die Stelle des Überblicks tritt die Überraschung. Und noch etwas gehört zu diesem Paradigmenwechsel: Gartenanlagen sind nicht länger Privatsache. Die städtebauliche Entwicklung des 19. Jahrhunderts setzt auf „grüne Lungen“, auf öffentlich zugängliche Oasen der Ruhe und der Erholung. Die Beispiele, die hier illustriert werden, reichen bis weit ins 20. Jahrhundert: bis hin zum jüngsten denkmalgeschützten Garten, dem Kurpark von Bad Malente-Gremsmühlen aus dem Jahr 1963.
Hinter jedem Garten steht ein engagierter Besitzer - sei es eine Privatperson, seien es Stiftungen, Unternehmen oder die öffentliche Hand. Und hinter jedem Garten steht eine Idee:
- wie das Zusammenspiel von Natur, Kultur und Mensch aussehen sollte,
- was gartentauglich ist (die Rose und der Obstbaum zum Beispiel, eher selten die Brennnessel und der Giersch),
- was sich an welchem Ort und in welcher Form entfalten darf,
- wie das Verhältnis von Nutzen und Dekoration ausgelotet wird usw.
Der vermutlich wichtigste Gartentheoretiker, den man ohne Übertreibung als Urheber des „modernen“ europäischen Gartens bezeichnen darf, ist ein Schleswig-Holsteiner: Lorenz Hirschfeld, dessen Theorie der Gartenkunst in ganz Europa zur Garten-Bibel geworden ist. Ich lese Ihnen einen Abschnitt aus dem Anfangskapitel vor, weil er - trotz der heute spröde wirkenden Sprache - erstaunlicherweise immer noch stimmt:
„Landhäuser und Gärten sind Zeugen des öffentlichen Geschmacks, die niemals der Politik gleichgültig sein sollten (...), weil von ihrer Beschaffenheit ein Teil der Achtung oder des Tadels für eine Nation abhängt und weil auch diese Gegenstände eine Gewalt über die Gemüter der Bürger haben.
Wie einnehmend (...) fällt nicht eine mit schönen Landhäusern und Gärten bereicherte Provinz in die Augen. Ja, bei täglichem Anschauen helfen sie, die Begriffe des Harmonischen, Schönen und Angenehmen, die für die Kultur des Geistes und des Herzens so wichtig sind, verbreiten.“
Heute - 225 Jahre später - gilt das mehr denn je. Gärten und Parks machen eine Landschaft attraktiv und interessant: nach außen, für Gäste und für Touristen. Aber sie wirken auch auf die Menschen, die im Umfeld dieser Gärten zu Hause sind.
Wer einen eigenen Garten hat, ob Bauerngarten, Küchengarten, Schreber- oder Biogarten, Nutz- oder Ziergarten, ob groß, ob klein: er ist ein Stück Natur, ein kleines Paradies, das wir uns erobern und bewahren - gegen die hektische, normierte und technologisierte Welt. Auch wenn nicht jeder private Garten die Samenkörner für ein Kulturdenkmal in sich hat, wenn nicht jeder Garten zum Gesamtkunstwerk werden kann (wie der Garten von Schloss Sissinghurst von Vita Sackville-West oder der Künstlergarten von Emil Nolde in Niebüll), so ist er doch ein Ort, an dem jeder Künstler sein kann und sein darf, ein Garten Eden im Kleinformat, in dem wir uns entfalten und zu uns selbst finden können. Eine Redewendung sagt nicht umsonst: „In einem Garten ging das Paradies verloren, in einem Garten wird es wiedergefunden.“
Meine Damen und Herren,
vielleicht fragen Sie sich nun: was hat das eine - der private Garten - mit dem anderen - mit dem öffentlichen Interesse und der Pflege von Gartendenkmälern - zu tun? Wir erhalten das historische Gartenerbe Schleswig-Holsteins ja nicht nur, weil es kulturell wertvoll ist und das Land attraktiv macht für Besucher und für Touristen, sondern weil es als Teil der Landschaft, als Teil der Natur, unser Selbstverständnis prägt und ein Gewinn für alle ist. Die denkmalgeschützten Gärten sind Inseln der Ruhe, der Entspannung, der Harmonie und der Schönheit, die nach Möglichkeit allen offen stehen sollten - und für die möglichst jeder sensibilisiert werden sollte. Schließlich sind die „geheimen Botschaften“, die diese historischen Gartenkunstwerke in sich verbergen, heute nicht mehr ohne Weiteres zu entziffern. Wer erkennt schon den Hintersinn des Philosophengangs im Eutiner Schlosspark: dass auch Umwege zum Ziel führen können! Wer weiß, dass das Bootshaus am Ende des Weges ein Zeichen für „neue Ufer“ ist?
Das „neue Ufer“ richtet den Blick wieder auf die Gegenwart. Schließlich will der Begriff „Denkmal“ immer auch als Imperativ verstanden sein! Wie steht es um die Gartenkunst unserer Tage? Wenn sich in jedem Gartenkunstwerk das verdichtete Weltbild einer Zeit (der Naturbegriff, die Polarität zwischen Natürlichkeit und Zivilisation) verbirgt, wie sehen dann künstlerisch gestaltete Gärten unserer Zeit aus? Vielleicht erinnern Sie sich noch an den niederländischen Expo-Pavillon, der auf sechs Etagen typisch holländische Landschaft „gestapelt“ hat - von den Dünen über die Tulpenfelder bis zu den Windrädern. Aber auch in Schleswig-Holstein gibt es kreative Gartenkunst: Am diesjährigen Wettbewerb „Kunst im öffentlichen Raum“ haben sich zum Beispiel Thomas Behrendt mit einem Projekt „Gartenlabyrinth“ beteiligt und Volker Andresen mit einer „Vegetativen Farbarena“, einem faszinierenden gartenkünstlerischen Objekt, das sich bewusst den Prozessen der Natur aussetzt.
Das ist ja der tiefere Sinn unserer kulturbewahrenden und denkmalschützenden Initiativen: dass wir uns diese Zeugnisse erhalten und sie zugleich für uns fruchtbar machen!
Deshalb danke ich Ihnen allen für Ihr Engagement zugunsten der Gartenkunst - den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Dezernats Gartendenkmalpflege ebenso wie den vielen Privatpersonen, den Spendern und Sponsoren, die zum Erhalt der historischen Gartenlandschaft beitragen. Ich danke namentlich Frau Dr. Margita Meyer und Frau Dipl.-Ing. Henrike Schwarz für die Konzeption dieser Ausstellung, für die schönen Gartenbilder und für die Denkanstöße, die Sie uns mit auf den Weg geben!
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