Aus dem Bibliotheksvollzug

Zandera 19 (2004), Nr. 2, S.59-63
(Foto © Siebrand Rehberg, Berlin 2004)

Bibliothek Der seit Jahrzehnten geplante Bau des neuen Bibliotheksgebäudes konnte in diesem Jahr vollendet werden. Der im September 2004 erfolgte Umzug in dasselbe erforderte gewaltige Anstrengungen aller Beteiligten.

Einige vor dem Umzug zu lösende Probleme

In der Geschichte einer Bibliothek gibt es viele Gründe, Bestände nicht zu bearbeiten. Personalmangel ist zwar der Hauptgrund, doch gibt es auch sachliche Probleme, die eine Bearbeitung verhindern. Es muß nicht nur daran liegen, daß der Titel auf Chinesisch verfaßt ist oder thematisch nicht ganz in das Sammelgebiet paßt. Monographien, die nur wenige Seiten umfassen, werden unter Umständen beiseitegelassen. In der Gartenbaubücherei landen sie in der Rubrik „Sonderschriften“. Kataloge von Gartenbauaustellungen bilden eine weitere Sondersammlung, die vor Jahrzehnten zunächst einmal in einem eigenen Regal beiseitegestellt wurde. Das gleiche gilt für Kongreßberichte, Vereinsprotokolle, Mitgliederverzeichnisse, Auktionskataloge, die man in manchen Bibliotheken als Monographien, in anderen als Periodika katalogisiert. Hier werden sie bislang als Sondersammlungen betrachtet, die man später einmal verzeichnen möchte. Bücher, bei denen etwas fehlt, kommen ins Fragmentenregal, in der Hoffnung, sie später einmal zu ergänzen. Was tun mit den ständig eintreffenden Einladungen, Plakaten, Prospekten, Flugschriften, Protokollen, Fotos, Briefen? Vieles davon könnte noch einmal interessant für die Geschichte des Gartenbaus sein. „Archiv“ lautet die Lösung der Gartenbaubücherei.

Die Gartenbaubücherei hat eine verhältnismäßig lange Geschichte, und entsprechend umfangreich sind die Bestände, die zunächst einmal beiseitegelegt wurden. Wie im Nachlaß eines im hohen Alter verstorbenen Sammlers fanden sich in allen Ecken und Enden Bestände, Stapel, Häufchen und Kisten, über deren Zusammensetzung nicht immer Klarheit bestand. Diese zu sortieren, war eine Aufgabe vor dem Umzug. Die Durchforstung der bisherigen und zukünftigen Archivbestände übernahm Bibliotheksleiter a.D. Gerhard Drude, worüber nach Abschluß des Verzeichnisses näher zu berichten sein wird.

Um die 100 Regalmeter nahmen allein die Zeitschriften ein, die nach 1945 wegen Unvollständigkeit der einzelnen Jahrgänge nicht gebunden, sondern mit Bindfäden zu Bündeln geschnürt und in der Hoffnung späterer Ergänzung zur Seite gelegt wurden. Seitdem sind sie mindestens fünfmal umgelagert worden, wobei jedesmal an den Schnürstellen etwas Papier zerbröselte, ganz zu schweigen von dem Staub der Jahrzehnte, der sich auf den obersten Seiten der Bündel ablagerte. „Da gehe ich nicht ran,“ sagte zum Thema Zeitschriftenaltbestände ein sonst sehr engagierter Bibliotheksleiter, der die Bibliothek rechtzeitig vor dem Umzug wieder verließ. Der Umzug ließ keine Wahl. Entsorgen, lautete die ausgegebene Losung. Dem konnte der Verein allerdings nicht zustimmen. Der Kassenwart, derlei scheinbar aussichtslose Projekte gewohnt, fand, es müßte gelingen, bis zum Umzug Licht und Ordnung in den Bestand zu bringen. Nachdem ein ungefährer Schlachtplan entworfen war, konnte das langjährige Vereinsmitglied Dorothee Jeschke zur Unterstützung bei der praktischen Durchführung gewonnen werden.

Die Zeitschriftensichtung

Monatelang wurde sortiert, geprüft, umgeräumt, verglichen, wieder sortiert, verkauft, verschenkt, in Mappen gelegt, weggeworfen, zum Verfilmen, Binden oder Restaurieren gegeben. Zur Finanzierung dieser letzteren, außer Haus gegebenen Arbeiten waren die Spendengelder der Landwirtschaftlichen Rentenbank eine unabdingbare Hilfe. Der Umzugstermin rückte näher und näher, der verfügbare Platz im Neubau wurde immer deutlicher definiert. Sehr viele Entscheidungen in kürzester Frist waren gefragt. Was mußte bewahrt werden, obwohl es unvollständig oder hoffnungslos zerfallen war, weil es nirgends sonst vorhanden war? Was konnte weitergegeben werden, weil andere Bibliotheken einen größeren Bestand davon hatten? Was war verkäuflich, was konnte verschenkt, was mußte entsorgt werden, und was doch noch einmal zurückgestellt werden? Ein besonderes Problem stellten die Heftumschläge und Anzeigenteile dar, die beim Binden meist entfernt wurden, aber in den ungebundenen, vermeintlichen „Dubletten“ noch vorhanden waren. Bei wichtigen Titel mußten diese informationsreichen Teile unbedingt erhalten bleiben. Die Fülle der Aspekte, Titel und Einzelfälle erlaubte kein wirklich systematisches Vorgehen. Pragmatisch wurde das Augenmerk auf Raum und Zeit gerichtet und besonders auf den Umfang der Bestände an einzelnen Titeln geachtet. Nahmen diese besonders viel Raum in Anspruch, so war eine Entscheidung besonders dringend, und es mußte ihr mehr Zeit gewidmet werden, als bei Beständen, die nur wenige schmale Hefte umfaßten und durchaus später bearbeitet werden konnten. Einige andere Grundsätze, die sich bei der Arbeit ergaben, waren folgende. Sonst nicht nachweisbare Titel (Alleinbesitz) mußten unter allen Umständen bewahrt werden. Nach Möglichkeit sollte der Titel in Berlin vorhanden sein. Dubletten aus dem engeren Fachspektrum sollten an andere Fachbibliotheken abgegeben werden. Die meisten Kisten gingen an die Zweigbibliothek Agrarwissenschaften der Humboldt-Universität und an das Deutsche Gartenbaumuseum Erfurt. Was diese nicht gebrauchen konnten oder das engere Fachspektrum überschritt, ging in die Sammlung deutscher Drucke in der Berliner Staatsbibliothek und der Deutschen Bücherei Leipzig ein. Die Abgabe erfolgte überwiegend kostenlos. Nur bei wenigen, antiquarisch gefragten Titeln wurde ein mäßiger Kaufpreis vereinbart. Bei sehr fragmentarischen Beständen ohne Aussicht auf Ergänzung kam die Abgabe selbst dann in Frage, wenn es sich um Gartentitel handelte. Zur Vernichtung wurde geschritten, wenn der Titel anderswo mehrfach vorhanden und unverkäuflich war.

Nicht selten drängte sich die Sinnfrage auf: „Wozu das aufheben, das liest doch nie einer.“ Solchen Anfechtungen hielt der Kassenwart meist entgegen, daß nichts genutzt werden konnte, das nicht verzeichnet und dessen Existenz deshalb nicht bekannt ist, ferner daß die bisherigen Forschungsinteressen voraussichtlich nicht die der Zukunft sein würden.

Welche geistigen und körperlichen Anstrengungen das Projekt erforderte, kann sich nur vorstellen, wer im Umgang mit dem Chaos geübt ist. Zu Unordnung, beengtem Raum und Staub kam eine große Hitze unter dem Pappdach in der Franklinstraße während der Sommerzeit unmittelbar vor dem Umzug.

Als Ergebnis wurden im neuen Sonderraum der Gartenbaubücherei zur künftigen Einarbeitung aufgestellt:

Ferner zur Abgabe:

Die geleisteten Arbeiten haben neben der Umfangsreduzierung und Ordnung den Vorteil, daß die noch verbliebenen Arbeitsrückstände klarer überschau- und kalkulierbar geworden sind. Sie abzuarbeiten, ist Aufgabe der nächsten Jahre.

Zu erwähnen ist, daß ein Teil der auf diese Weise bearbeiteten Bestände der TU gehörte, die zur Bearbeitung kein Personal stellen konnte. Notwendige Entscheidungen wurden hier zusammen mit der TU getroffen.

Nebenbei unterstützte der Verein die TU bei der Definierung der Rara unter dem bereits eingearbeiteten Zeitschriften, da diese im Neubau getrennt von den übrigen Magazinzeitschriften aufzustellen waren. Kurz vor der Eröffnung mußten vom Verein noch die mit Kopierverbot belegten Monographien und Zeitschriften im Magazin gekennzeichnet werden. Es handelt sich vor allem um Großformate, Werke mit kolorierten und großen Falt-Tafeln und solche mit besonders bruchgefährdeten Einbänden oder brüchigem Papier, die wegen eines Erscheinungstermins nach 1849 nicht bei den Rara stehen. Die Benutzung soll wie bei den Rara unter Aufsicht erfolgen.

Der Neubau

Der Neubau wurde vielsagend als „moderner Zweckbau“ umschrieben und als High-Tech-Bau gelobt. In der Tat gibt es moderne Buchtransportmaschinen, elektronische Zimmerschlüssel und ferngesteuerte Fensterrollos. Es soll allerdings an die Ästhetik feiner Blumen- und Gartenschöpfungen gewohnte Personen geben, die sich von der Architektur an Vollzugsanstalten erinnert fühlen.

Kaum bekannt dürfte die Geschichte des Standortes sein. Wo man heute auf eine Brandwand und den BVG-Parkplatz sieht, befindet sich ein mit der Berliner Gartengeschichte eng verbundenes Gelände. 1742 hatte Knobelsdorff hier eine Fasanerie für Friedrich II. angelegt, die sternförmig mit Wegen durchkreuzt war. Der Hauptweg der Fasanerie lag in der Verlängerung der Charlottenburger Chaussee (Otto-Suhr-Allee). Er hieß später bis 1945 Kurfürstenallee (jetzt Hauptweg im Stammgelände der TU und Hertzallee). 1846/47 legte Lenné anstelle der Fasanerie einen Hippodrom an, welcher die Fläche zwischen Fasanenstraße, Hertzallee und Müller-Breslau-Straße einnahm. Im Osten reichte der Reitplatz bis in das heutige Zoogelände hinein. Lennés Gestaltung wurde 1875 durch den Bau der Stadtbahn beeinträchtigt, die das östliche Drittel abtrennte, sie blieb aber bis 1945 bestehen, indem der größere Teil im Westen als Sportplatz genutzt wurde. Nach dem Krieg gingen die Spuren der Lennéschen Gestaltung verloren.

Die Räume der Gartenbaubücherei liegen in der Nordostecke im I. Obergeschoß. Einige abgeschlossene Zeitschriften nach 1945 wurden ins Magazin verlagert. Die Magazine befinden sich im Kellergeschoß und sind an den zentralen Magazindiendienst angeschlossen. Die Rara der Gartenbaubücherei (dies sind vor allem vor 1850 erschienene Titel) stehen in zwei besonderen, abgeschlossenen Räumen, die mit einer Trockenlöschanlage ausgestattet sind, während alle anderen Buchbestände ggf. mit einer Sprenkleranlage beregnet werden.

Die Mitarbeiter, vor allem Frau Kerstin Ebell, bemühen sich mit großem Einsatz, die Räume der Gartenbaubücherei im gegebenen Rahmen möglichst ansprechend zu gestalten.

cw